Kaufhaus

Sie wollte es schaffen. Es war knapp. 100000 Schuhe wollte sie verkauft haben.

In zweiunddreißig Jahren in der Schuhabteilung des Kaufhauses.

Als Lehrmädchen startete sie im letzten Jahrtausend bei Karstadt. Mit dem Zug fuhr sie jeden Morgen von Altenbeken ins Oberzentrum nach Bielefeld. Damals standen in Altenbeken noch die Fichten, an den Hängen, nun alle tot. Zweite Etage. Sportschuhe. Holde war dort nun verortet. Holde war sportlich. Im ostwestfälischen Hinterland trainierte sie Querfeldeinlauf. Jeden Morgen. Durch Kalamitätsflächen. Sie hatte kurze Haare und verkaufte nun Turnschuhe. Aber es kamen immer weniger Kunden.

Die Kaufhausmanager alterten mit ihren Kunden. Bugattilatschen waren out. Natürlich bekam sie Rabatt für ihre neue Laufschuhe, aber stylischere Marken gab es in trendigen Läden in der Altstadt. Neulich kam ein Spieler von Arminia Bielefeld um die Ecke. Er fand einen alten Samba Schuh unten im Regal. Ob Holde ihm diesen auch in Größe 46,5 verkaufen könne. Das wäre möglich, aber der Kunde müsse in einer Woche wiederkommen. 

Sie muss den Schuh bestellen. Der Kunde kam natürlich nicht wieder. Und Holde traf in der Mittagspause Wolfgang. Sie trafen sich immer in der Mittagspause. Kamillentee mit Wurstbrot.

Wolfgang war sehr groß und schlank. Sein Vater war schon Herrenkleidungsverkäufer. Wolfgangs Vater hatte in der Leineweberstadt Herrnschnittmuster entworfen und als das große Kaufhaus Karstadt in der City öffnete, fand er dort eine neue Arbeitsstelle mit Mittagspause im hauseigenen Restaurant. Wolfgang stieg in seine Fußstapfen und verkaufte nun Herrenoberbekleidung. Männer sind immer sehr durcheinander, wenn sie einen Anzug brauchen. Amerikanische Inch, deutsche Bauchumfänge oder französische Maße. Das konnte kein Mann sich merken. Frauen Größe 38 ging immer. Für einen Mann gab es Xl, Größe 56 oder 34 inch.

Aber nun war es auch für Wolfgang vorbei. Er war nun gerade 60 geworden und muss wohl stempeln gehen. Es herrscht natürlich Fachkräftemangel. Aber im stylischem Fashioncenter liegen die Teens herum. Was soll er da.Bsrauchen die einen Anzug? Oder nur Jeans für 20 Euro?

Zumal die gesamte Kleidungsbranche vor einen Umbruch steht. Die Firma Shapse.com aus China hat ein Programm für jeden Hausmann entwickelt. Mit einer App scannt man sich selbst, schickt die Fotos nach China und die kantonesische KI schneidert dann passgenaue Leibchen.

Holde und Wolfgang würden nie wieder in einem Kaufhaus arbeiten. Das war vorbei. Besonders bitte war es, dass Wolfgangs Sohn Walfgerd die Seite von Temu entdeckte.

Temu lockt mit schriller Werbung und niedrigen Preisen und bewirbt ein Einkaufserlebnis „wie für Milliardäre“. Die App bietet eine breite Palette von Produkten zu niedrigen Preisen an und konkurriert mit anderen bekannten E-Commerce-Plattformen wie Amazon, Shein und Walmart Die App setzt auf Gamification, um die Kunden anzusprechen.

Über Temu werden hauptsächlich Mode, Elektronik, Haushaltswaren, Schönheitsprodukte, Spielzeug und Nonfood-Haustierbedarf angeboten. Die Versandkosten sind bei Temu im Kaufpreis enthalten. Und das Beste ist: Heute bestellt und in sieben Tagen sind die Waren von China in Bielefeld. Im eigenen Briefkasten.

Walfgerd beschleunigte mit seinem Einkaufsverhalten den Untergang des ostwestfälischen Kaufhauses.

Und dann war da noch Frau Giesewetter. Niemand durfte sie mit ihrem Vornamen ansprechen. Und bitte nicht Kiesewetter!

Frau Giesewetter war aus feinem Haus. Der Tische wurde immer ordentlich gedeckt.

Egal, ob Gäste kamen oder ihr Mann nach einem langen Arbeitstag in der Hühnerfabrik aus dem Kalletal ins Haus schlürfte.

Tassen mit Goldrand, Teller mit Rosenrüschen und natürlich ein Silberbesteck mussten sein. Das Auge isst auch mit. Frau Giesewetter hatte sogar Porzellan aus Meißen. Das aber stand im Regal. Sollte erst bei ihrer Kronjuwelenfeier herausgeholt werden. Keine wusste, wann das war.

Giesewetter arbeitete in der Haushaltswarenabteilung. Hier fand man vom Silikonbecher bis zum Teebeutelhalter alles, was die moderne Hausfrau braucht. Dachte Giesewetter. Wusste Giesewetter.

Während Sie aber neulich versuchte einen Teller der Firma Seltmann-Weiden für 39,99 Euro zu verkaufen, kamen junge Leute auf die Etage und meinten:“ bei Ikea gibt es für 39,99 Euro ein ganzes Service inklusive Koch!“ Wo sind die Manieren geblieben? Wo die Esskultur, die Liebe mit der sie den Tisch deckte? Das Auge isst doch mit. Selbst auf dem Teller aus Muranoglas verwandelte sich der Big Mac in einen Burger al la Chamapain, Und da die Helden der Kochshows ihre Tellereditionen eh alle online verkauften, musste Frau Giesewetters Abteilung schließen.

Also saßen Frau Giesewetter, Wolfgang und Holde in der Backfactory beim 99 Cent Kaffee. Kamillentee war out.

Was sollten sie nun tun? Paketfahrer wurden gesucht, ach, es heißt ja nun Packetfahrende.  Und im neuen Zalando-Outlet-Geschäft brauchte man Kabinenaufräumer. Keine Aufräumer:Innen. Sollte schon ein Mann machen, meinte die Konzernleitung.

Und so fand jeder einen neuen Job. Die flotte Holde wurde Paketfahrerin. Dank ihrer Sportschuhe sprintete sie mit jedem Paket in die oberste Etage und blieb rank und schlank. Wolfgang nahm den Job des Kabinenaufräumers an. Endlich musste er nicht mehr die Kunden anlügen, fragten sie ihn: „Steht mir das?“ und Frau Giesewetter wurde Schrankenwärterin bei Ikea. Die Schrankenwärterin kontrolliert die Selbstscankassen und wenn alle Kunden ihre Waren exakt gescannt haben, öffnet sie die Ausgehschranke, die unweigerlich zum Hot Dog Stand führt.

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