Paypal

Franziska wollte nicht mehr von irgendwelchen Apps abhängig sein. Sie packte ihr altes Nokia-Klapphandy ein, mit dem sie im Notfall noch ihre Eltern anrufen konnte. So ausgerüstet begab sie sich zur Straßenbahn, wo zu dieser Zeit immer noch Stempelkarten aus Pappe verwendet wurden. Der Weihnachtsmarkt war das Ziel.

Dachte sie.

„Sie kommen hier nicht rein“, raunte der Busfahrer Franziska an. „Sie brauchen eine App. Nehmen Sie das Clip-Ticket, da sparen Sie neunzig Cent. Die alten Stempelkarten können Sie gegen Ride-Points für die App eintauschen“, belehrte der Mobiel-Mitarbeiter. Franziska schlurfte nach Hause.

War es wirklich unmöglich, ohne Smartphone zu leben? Die Krankenkasse, die Sparkasse, das Fitnessstudio und nun bald auch die Deutsche Bahn stellen ihre Dienste nur noch online zur Verfügung.

Noch besaß sie eine Bahncard und eine Sparkassencard. Die würden am Ende des Jahres eingestellt. Sie konnte die Hörgeräte ihres Opas per App steuern und auch seinen Herzschrittmacher überwachen. Der Sensor ihres Smartphones sammelte alle Gesundheitsdaten von ihr und piepte, wenn sie zu viel Aperol Spritz trank.

Die Bundesregierung plante einen neuen Coup. Ab 2025 sollten alle Bundesbürger ein Huawei-Handy bekommen. Kostenlos! Dort wären dann alle offiziellen Dokumente vorinstalliert: Führerschein, Personalausweis und ein digitales Konto für das Bürgergeld. Das Handy gehörte der Spitzenklasse an. Mit dem Bewegungsprofil sollten die Kommunen dann besser die Infrastrukturmaßnahmen steuern können. Zudem könnten Arbeitszeiten, Kontakte, Einkäufe besser kontrolliert werden. Was sollte Franziska machen? Das Leben musste doch weitergehen. Also schnappte sich Franziska ihr Smartphone, tauschte die Pappfahrkarten in Ride-Points um und fuhr in die Stadt. Sie wollte einen Glühwein in der neuesten Attraktion Bielefelds trinken.

Eine 20 Meter hohe Pyramide drehte sich im Oberzentrum. Lange war Franziska nicht mehr in der Stadt gewesen. Es gab sogar eine Jahnplatz-App und eine digitale Weihnachtsmarktkarte.

Am Jahnplatz sah sie ein kleine Schild. Es war ein Signal aus der Zukunft. Sie sah ein Schild, mitten im Tech-Centrum am Jahnplatz in Bielefeld, wo App-Entwickler ihre Spesen mit ApplePay bezahlten, während Uber-, Bolt- und Lieferando-Fahrer wie ausgehungerte Wespen um die Altstadt kreisten, allzeit bereit, über ein Samsung Galaxy, ein Sony Xperia oder ein Xiaomi für einen Auftrag angepingt zu werden; wo formschöne Influencer, rummelplatzlustige Tik-Toker und Insta-Touris ihre Storys drehten: an der Weihnachtspyramide auf dem Weihnachtsmarkt.

Dort, zwischen all den elektrisch blau beleuchteten Gesichtern, fand Franziska das Schild, und das Schild sah sie, und beide wussten: Etwas kippte gerade. Etwas würde sich ändern. Das Schild flimmerte nicht und machte keinerlei Geräusch, man konnte sich nicht mit ihm unterhalten. Es befand sich auch kein QR-Code darauf.
Eine schlichte Schiefertafel zierte den Eingangsbereich eines Lokals.

Mit Kreide darauf stand geschrieben: „Kein WLAN! Kommuniziert miteinander! Stellt euch vor, es ist 1995!“ Franziska blieb vor Rührung kurz stehen.

Das Schild wirkte wie ein tröstlicher Anblick. Es war mehr als das – es war eine lang ersehnte Bestätigung. Franziska hatte all die Jahre recht gehabt, trotz der updatehysterischen Zeit. Ein Blick ins Lokal zeigte ausschließlich junge Menschen, von denen viele vermutlich 1995 noch nicht einmal geboren waren. Franziskas Eltern hatten 1995 ihren ersten „Home PC“ bekommen, mit einem klobigen „Tower“, einem Bildschirm mit grüner Schrift auf schwarzem Grund, einem mal röchelnden, mal kreischenden Modem und einer 12-stelligen Compuserve.com-E-Mail-Adresse.

Zu dieser Zeit war Franziska noch nicht geboren. Sie war ein Kind des neuen Jahrtausends, in dem es kein Fotoalbum mehr gab, sondern das Leben von Anfang an digital dokumentiert wurde. Mit diesem Gedanken betrat Franziska das Lokal und wurde sofort in eine Gesprächsrunde aufgenommen.


Ein Leben ohne Smartphone – das ist es, was viele junge Erwachsene jetzt ausprobieren. Sie bezeichnen sich selbst als „Unplugger“ oder „Abschalter:innen“. Man nennt sie auch „Neo-Ludditen“, angelehnt an die rebellischen Arbeiter des 19. Jahrhunderts, die unter der Führung von Ned Ludd in Großbritannien gegen die Industriemaschinen kämpften, die ihre Rechte bedrohten.

Die „Neo-Ludditen“ verabschieden sich von ihren Smartphones und entscheiden sich stattdessen für einfache Tastenhandys, in den USA als „Flipphones“ bekannt. Einige gehen noch weiter und löschen ihre Social-Media-Konten von ihren Laptops; manche möchten sogar vollständig offline sein. Sie versammeln sich nicht nur in Berlin und Brooklyn, sondern auch in Linz, London oder Lissabon an Orten ohne WLAN, wie Parks, Cafés oder Bars. Dort tauschen sie Erfahrungen aus über das Leben ohne Strom in einer Welt, die nie schläft. In Zeitungsartikeln berichten sie von ihrem Stress und ihrer Abneigung gegen das ständige Gepiepse.

Franziska war erleichtert, den Weihnachtsmarkt besucht zu haben. Für das Jahr 2024 hatte sie vor, ihr Handy öfter auszuschalten. Nun wollte sie den Tag bei einem leckeren Glühwein mit einem Schuss Rum ausklingen lassen. Sie schaltete ihr Handy komplett aus. Ja, das war möglich. Schließlich hatten Smartphones einen Ausschaltknopf. Sie steckte das Handy in die Tasche, bestellte den Glühwein und dazu einen Eierpunsch.

„Wir akzeptieren nur Paypal“, informierte der Verkäufer.

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