Die Koffer waren bereits gepackt, die Kisten ordentlich gestapelt – die Abreise stand kurz bevor. Heinz entschied sich für einen Umzug, weg von Bielefeld, weil er einen neuen Lebensabschnitt beginnen wollte. Er erwarb eine Villa, und wo sonst als auf Ibiza? Oder vielleicht doch auf Baltrum? Der Kauf war günstig, da der steigende Meeresspiegel den Immobilienmarkt beeinflusste. Allerdings war dies erst in ferner Zukunft relevant – erst, wenn Heinz 101 Jahre alt wäre.
Wie schaffte es Rentner Heinz, sich eine Villa leisten zu können? Sicherlich, es gab nur einen kleinen Pool, aber es war nicht die Art von Villa, die Dieter Bohlen einst besaß. Dennoch war es für Heinz ausreichend. Weg vom Novembernebel, hin zum Nordseehimmel. Aber wie genau hat er das geschafft?
Während Persönlichkeiten wie Jeff Bezos und Mark Zuckerberg schon in jungen Jahren Millionen verdienten oder die Tochter von Boris Becker durch Erbschaft reich wurde, erarbeitete sich Heinz seinen Wohlstand mit eigenen Händen. Doch wie genau gelang ihm das? Nein, die klassische Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär war für Heinz keine Option. Das Schrubben von Geschirr in heißen Restaurantküchen kam für ihn niemals infrage. Heutzutage gibt es doch viel einfachere Wege. Aber der Reihe nach.
Alles begann, als Heinzens Tochter fragte, ob er die neue Lidl-App bereits habe, um Geld zu sparen. Das war der Auslöser. Heinz wurde zum Couponjäger. Er legte sich eine zweite Geldbörse zu, besorgte sich tausend Kundenkarten von Babygeschäften bis zu Weinhandlungen, Schuhläden oder Dessous-Labels.
Anfangs war nicht klar, wofür er sie nutzen sollte. Doch dann füllte er sein Dritthandy mit Discounter-Apps und nahm 1000 Euro seiner Rente zur Hand. Der Startschuss fiel. Die Vielzahl von Apps und Kundenkarten boten eine Fülle von Rabatten. Da musste etwas möglich sein. Er probierte es mit der Lidl-App aus und erzielte schnell einen Rabatt
von 1,33 Euro bei einem Einkauf von 30,01 Euro, dazu einen Neukundenbonus von 5 Euro. Im Gegenzug erhielt er ein Angebot: Gehackte Tomaten 25 Prozent günstiger, Mindestabnahme 100 Dosen. Ein Deal, den man einfach machen musste. Die Dosen waren bis 2034 haltbar, also passte das schon.
Dann kam der Black Friday. Heinz konnte zwei Laubpuster zum Preis von einem erwerben, verkaufte den zweiten dann für 100 Euro an seine Nachbarn. So ging es weiter – zwei für eins, 33 Prozent Rabatt. Nach einer Bestandsaufnahme stellte Heinz fest, dass er einige Euro investiert hatte und durch Waren, Gutscheine und Bargeld locker 200 Euro verdient hatte. Von 1000 auf 1200 Euro in nur wenigen Minuten, ohne sich die Hände wie ein Tellerwäscher schmutzig zu machen. Es lief also gut. Schnell noch die Coupons von Mittwoch bis Freitag einlösen, das Glücksrad drehen, die zwei-für-drei-Angebote nutzen. Am Ende des Tages hatte Heinz seinen Geldeinsatz verdoppelt.
Freitagabends loggte er sich noch schnell auf der Website von Shao Li Ping ein. Der Bielefelder Unternehmer (und Held dieses Blogs) hatte Heinz nach einer durchzechten Nacht zu seinem 60. Geburtstag einen Schiffcontainer geschenkt. Jeden Freitag konnte Heinz online verfolgen, wo sich sein Container gerade befand. Und weil Black Friday war, befand er sich direkt im Hamburger Hafen, wo Amazon-Roboter chinesische Billigware auspackten. Für jeden Containertransport kassierte Heinz 10.000 Euro Transport-Leihgebühr.
Als nächstes begab er sich morgens zum großen Markt im Zentrum von Bielefeld. Schon um 6:00 Uhr verhandelte er geschickt mit einem pakistanischen Händler und erwarb Papayas und Himbeeren – im November – zu einem unschlagbaren Preis von einem Euro. Dies geschah um 6:12 Uhr. Schnell erstellte er ein Schild und richtete einen kleinen Stand ein, während die Gewerbeaufsicht noch im Schlummer lag. Auf dem Schild prangte die Aufschrift: „Himbeerliebe aus der Heimat und Papayas von indigenen Kindern liebevoll gepflückt.“ Beides war frei erfunden, aber um 7:19 Uhr verließ er den Markt mit einem Gewinn von 342 Prozent. Sein Stand war restlos ausverkauft. Er überprüfte seine weiteren Einkäufe auf dem Wochenmarkt. Dort gab es abgepackten Grünkohl für ein Euro pro Kilo und Butterkartoffeln für einen Euro und 20 Cent. So konnte er ein gesundes, regionales, veganes Essen zubereiten. Der Grünkohl reichte für drei Tage und wurde mit jedem Tag besser. Das kostete ihn weniger als 70 Cent pro Tag. Nun begann jedoch seine eigentliche Schicht.
Um Millionär zu werden, musste er an die Kundenkarten anderer Menschen gelangen. Daher ließ er sich samstags anstellen – nur samstags und nur in den Hypermärkten der Stadt, wo Fachkräftemangel herrschte. Heinz startete um 8:00 Uhr, jedoch nicht an einer gewöhnlichen Supermarktkasse, sondern an den Selbstscan-Kassen. Er war nicht bereit, jeden Artikel mit einem ohrenbetäubenden Piep selbst zu scannen. Heinz war schlau. Seine Devise lautete: „Lass das die Kunden machen!“ und erklärte dem Marktleiter: „Ich gehe zur Selbstscan-Kasse. Da habe ich sogar etwas Bewegung!“
Um an die Payback-Punkte anderer Verbraucher zu gelangen, setzte er auf seine charmante Art. Er hatte die Oberaufsicht über vier Selbstscan-Kassen und sprach die Kunden freundlich an: „Herzlich willkommen! Wenn Sie Hilfe benötigen, melden Sie sich. Übrigens, haben Sie eine Payback-Karte? Dort gibt es viele Rabatte!“ Falls ein Kunde seine Anfrage negierte, wies er ihn zum freien Scan-Point und zog schnell seine eigene Rabattkarte über die Kasse, um tausende Punkte zu ergattern. So gestaltete sich Heinz‘ Samstag. Natürlich erhielt er für diesen Job auch noch zwanzig Euro Stundenlohn. Der Sonntag war sein Erholungstag – am siebten Tag soll man ruhen.
Für Heinz kein Problem. Er schnappte sich seinen Laptop, trank einen Kaffee – den er übrigens durch das Wiederverwenden von gebrauchten Kaffeefiltern und Kaffeemehl ein zweites Mal aufbrühte. Seine Schwiegermutter mit 85 Jahren merkte den Unterschied nicht, da sie ohnehin immer Kaffee Hak trank. Und Heinz benötigte nur die doppelte Menge Prütt, um das gewünschte Koffein in seinen Adern zu spüren. Dann plante er die kommende Woche anhand der Werbeprospekte: Montag Kaufland, Dienstag Aldi, Mittwoch zum Weindepot, Donnerstag zum Lidl, Freitag Online-Shopping bei Amazon. Und samstags wieder Punkte abgreifen. Dieses System war noch ausbaufähig.
Heinz‘ Nachbarin saß an der Kasse eines Discounters. Er umgarnte sie geschickt mit Dessous, die er im Megadeal in Neongelb erstanden hatte. Als Gegenleistung zog sie Heinz‘ Kundenkarten über den Scanner, wenn ein Kunde vergaß, seine eigene Karte zu zeigen. Heinz‘ Nachbarin sah verführerisch aus. Heinz‘ Konto noch verführerischer.
Und so war es am 25.11.2023 soweit. Heinz löste sein Payback-Konto auf, verkaufte den Seecontainer, löste alle Rabattkarten ein, und mit Glück von 23 Milliarden eingelösten Bonuspunkten und einem Keller voller Gratisprodukte zog er in seine Villa in der Sandschlafstraße 5 auf Baltrum.