
Es war der letzte Schultag. Die Bundesjugendspiele werden abgeschafft. Schulaufsichtsbeamter Hügelbusch lud zu einer Podiumsdiskussion ein. Auf der Bühne saßen Lehrerin L.Credi, Sekundärschulleiter Herr Schnepel, die Influencerin Macy und Christina Funk. Funk war stinkesauer und startete eine Petition.
Ihr neunjähriger Sohn kehrte weinend nach Hause, das Herz gebrochen von den Bundesjugendspielen. Eine Teilnahmeurkunde – die schändlichste aller möglichen Auszeichnungen – ist alles, was er erreicht hatte. Doch das ist nicht genug für die Mutter aus Bielefeld. Sie ergreift das digitale Megafon und rief die Politiker dazu auf, diesen gnadenlosen Leichtathletik-Wettbewerb zu verbannen. Die Bundesjugendspiele, behauptete sie, zermürben die Schüler, sind sinnlos und unfair. Von weit her kommen ihre Klagen und finden Gehör bei über 20.000 Menschen, die ihr beipflichten.
Die Bundesjugendspiele, eine Institution seit 1951, wurden einst mit dem Versprechen ins Leben gerufen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu wecken und einen fröhlichen Wettkampfgeist zu entfachen. Doch sie haben das Gegenteil bewirkt. Statt Teamgeist herrscht nun ein Klima des Konkurrenzkampfes, in dem Schüler gegeneinander antreten und ihre Leistungen gnadenlos verglichen werden. Der einstige Spaß am Sport verkümmert zu einem Schatten seiner selbst, während die ganze Klasse zuschaut, wie diejenigen, die weniger begabt sind, bei den Rennen abgehängt werden oder den Ball beim Weitwurf kläglich vor ihre eigenen Füße schleudern. Und was ist mit den anderen Schulfächern? Wann werden dort diejenigen, die Schwierigkeiten haben, öffentlich bloßgestellt? Schüler mit Leseschwächen dürfen sich vor Vorlesewettbewerben drücken und müssen sich nicht der Demütigung aussetzen. Unmusikalische Kinder können den Chorauftritten fernbleiben, ohne dass man sie dafür verurteilt.
Doch das Ausmaß der Ungerechtigkeit kennt keine Grenzen. Die Bundesjugendspiele sind ein weiterer Schandfleck, denn sie setzen auf die erbarmungslose Einteilung nach Jahrgängen. Wie können wir es zulassen, dass kleinere Schüler beim Rennen und Springen von vornherein benachteiligt sind, nur weil sie physisch weniger entwickelt sind als ihre größeren Altersgenossen? Die Wettkämpfe sollten zumindest freiwillig sein, damit sich die Besten mit den Besten messen können. Den anderen blieben so Enttäuschung und Tränen erspart, die ihr zartes Gemüt zerfressen.

Die Zeit ist gekommen, die Stimmen der Vernunft zu erheben, damit diese ungerechte und demotivierende Institution der Vergangenheit angehört. Lasst uns das Leid der unschuldigen Kinder beenden, die sich dem grausamen Scheinwerferlicht der Bundesjugendspiele ausgesetzt sehen. Lasst uns eine Welt schaffen, in der der Sport ein Mittel der Freude, der persönlichen Entwicklung und des Miteinanders ist, anstatt ein Instrument der Scham und der Tränen. Der Ruf der Mutter aus Bielefeld hat eine Flutwelle der Zustimmung entfacht.
In der Aula sprang Schüler Fred Feldmann auf und klatschte. Er hatte ein kleines Bäuchlein, ein Moppelchen mit Flatrate bei McDonalds. Er hasste den Geruch der alten blauen Sportmatten und das Gefühl beim Wählen von Mannschaften immer letzter zu sein. Immer wenn Bundesjugendspiele waren, dann konnte er seinen Schachclub nicht besuchen, den er als Vorsitzender der Primar-Schülerriege leitete. Auch Influencerin Macy applaudierte. Sie hatte 10000 Follower auf Tik Tok, die von Demütigungen durch Mitschüler und vor allem Lehrer berichtete. Fred Feldmann wurde Follower Nummer 10001.
Herr Schnepel sprach sich für die Bundesjugendspiele statt:
„ Die Bundesjugendspiele sind eine gemeinsame Erfahrung, die ihr mit euren Eltern und Großeltern teilt. Seit Jahrzehnten gehören sie zu Deutschland und jährlich nehmen rund fünf Millionen Schüler daran teil. Trotz der Beschwerde von Christine Finke (siehe vorheriger Textabschnitt) hat eine Umfrage ergeben, dass die Mehrheit der Bürger die Bundesjugendspiele behalten möchte. Offensichtlich erinnern sie sich gerne an diese Zeit zurück.
Die Wettkämpfe bieten nicht nur eine willkommene Abwechslung vom Unterricht. Gerade die Tatsache, dass alle Schüler daran teilnehmen müssen, verdeutlicht die Wichtigkeit von Sport. Ärzte beklagen schon lange, dass viele Kinder sich zu wenig bewegen. Ein Wettbewerb, für den sie trainieren und bei dem sie sich anstrengen müssen, kann ihnen nur guttun. Wer weiß schon, ob ein Schüler, der bei den Bundesjugendspielen schlecht abschneidet, nicht gerade dadurch angeregt wird, in Zukunft mehr Sport zu treiben und im nächsten Jahr bessere Leistungen zu erzielen? Jeder geht schließlich unterschiedlich mit Niederlagen um.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, den der Leichtathletik-Wettkampf lehrt, ist der Umgang mit eigenen Schwächen. Das Leben besteht nun einmal nicht nur aus Erfolgen – das gilt auch für die anderen Schulfächer. Es wird niemand ernsthaft fordern, eine Mathearbeit aus dem Stundenplan zu streichen, nur weil jemand Schwierigkeiten mit den Aufgaben hat. Warum sollten also für Sportprüfungen andere Regeln gelten?
Es ist doch völlig klar, dass nicht jeder alles gleich gut kann und dass Schüler unterschiedliche Talente haben. Oft glänzen auf dem Sportplatz genau diejenigen, die in Deutschaufsätzen oder Mathearbeiten weniger gut abschneiden. Es ist nur fair, ihnen diesen Erfolg zu gönnen.“
Gaby Haarlich, Dorfschönheit der Klasse 4B, Tennisstar im Vorort pflichtet Schnepel bei. Sie stand gerne im Vordergrund und bestückte die Wand ihres Kinderzimmers monatlich mit Abzeichen und Pokalen, die sie gewonnen hatte.
Ab dem nächsten Jahr werden die Bundesjugendspiele nicht mehr als Wettkampf stattfinden. Damit gibt man den jahrelangen Kampagnen nach. Doch Sport ohne Sieger und Verlierer ist sinnlos. Und auch die Erfahrung des Misserfolgs hilft beim Erwachsenwerden.
Schulaufsichtsbeamter Hügelbusch informierte nun die Anwesenden, dass die Bundesjugendspiele mit der Form der Leistungsmessung nicht mehr stattfinden.
L.Credi, eine leidenschaftliche Grundschullehrerin, hatte sich seit Jahren auf die Bundesjugendspiele vorbereitet und diese mit großer Begeisterung in ihrem Unterricht eingebunden. Sie hatte ihre Schüler motiviert und ihnen geholfen, ihre sportlichen Fähigkeiten zu verbessern. Die Bundesjugendspiele waren für sie ein Höhepunkt des Schuljahres, an dem sie ihre Schüler dabei unterstützen konnte, ihre persönlichen Grenzen zu überwinden und ein Gefühl des Stolzes und der Gemeinschaft zu erleben.
Als L.Credi jedoch die Nachricht erhielt, dass ab dem Schuljahr 2023/2024 nur noch die freiwillige Wettbewerbsform der Bundesjugendspiele in den Klassenstufen angeboten werden würde, war sie zunächst enttäuscht. Sie fragte sich, wie sie diese Veränderung in ihren Unterricht integrieren sollte und ob dies die Motivation und das Engagement ihrer Schüler beeinflussen würde.
Aber L.Credi war eine einfallsreiche und flexible Lehrerin. Sie beschloss, die neue Situation als Chance zu nutzen, um ihre Schüler weiterhin zu inspirieren und ihnen wichtige Werte wie Fairness, Respekt und Teamfähigkeit zu vermitteln. Sie entwickelte alternative sportliche Aktivitäten und Spiele, bei denen ihre Schüler ihre Fähigkeiten und ihren Teamgeist unter Beweis stellen konnten. Sie organisierte kleine Turniere und Herausforderungen, um den Wettkampfgeist aufrechtzuerhalten und den Schülern die Möglichkeit zu geben, sich gegenseitig anzuspornen.
L.Credi erkannte auch, dass die Wettbewerbsform der Bundesjugendspiele immer noch die Möglichkeit bot, den Schülern ein Gefühl des Stolzes und der persönlichen Entwicklung zu vermitteln. Sie setzte sich intensiv mit den individuellen Stärken und Schwächen ihrer Schüler auseinander und ermutigte sie, ihre eigenen Ziele zu setzen und ihr Bestes zu geben. Sie betonte, dass es nicht darum ging, gegen andere Schüler anzutreten, sondern sich selbst zu übertreffen und persönliche Fortschritte zu erzielen.
Die Veränderung der Bundesjugendspiele bedeutete für L.Credi eine Anpassung ihres Unterrichts und ihrer pädagogischen Ansätze, aber sie ließ sich davon nicht entmutigen. Im Gegenteil, sie fand neue Wege, ihre Schüler zu motivieren und ihnen wichtige Lebenskompetenzen zu vermitteln. Sie lud ihr Kollegium ein 300 neue Medaillen zu basteln. In der Schule gab es jetzt schon das Seepferdchen, den Seeräuber, den Bäuchling als Aufnähsticker für die Badehose. Es gab jetzt schon den Füllerführerschein, Fahrradführerschein, den 1*1 Führerschein und natürlich Belohnungssticker und Stempel und Fleißkärtchen mit den Stars aus Disneys „Frozen“.
Nun musste sie sich etwas anderes überlegen. Gold-Silber und Bronzemedaillen waren passe. L.Credi und ihre Kolleginnen erfanden als neues Abzeichen die „goldene Bärentatze“, das „sprunghafte Gazellenauge“ und den „flinken Hasenfuß“.

L.Credis Geschichte ist eine Erinnerung daran, dass Lehrerinnen und Lehrer in der Lage sind, sich den Herausforderungen anzupassen und auch in Veränderungen Chancen zu sehen. Ihre Hingabe und Kreativität können dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler auch unter neuen Bedingungen wachsen und erfolgreich sein können.
Nun ist Sommerpause
