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Björn Hardmudson – Der letzte Briefträger von Danmark

Es war einer jener Sommertage in Bielefeld, an denen die Sonne die Asphaltstraßen flimmern ließ und selbst die Fahrräder der Postboten träge wirkten. Auf dem Rasen vor dem alten Postamt standen sie dicht gedrängt – Männer und Frauen in Uniformen, ein Meer aus Gelb, Blau und Rot. Zwischen dampfenden Kaffeebechern und Geschichten aus alten Zeiten fand Björn Hardmudson, der Gast aus Danmark, seinen alten Freund Hasso von der Deutschen Post. Es war das internationale Postbotentreffen mit Postboten und Postbotinnen. Es fand wie jedes Jahr in der Alten Post in der City statt. Gesponsert von DHL als weltweiter Logistikpartner.

„Na, Björn!“, rief Hasso fröhlich, „über den Belt herübergeradelt?“
„Fast“, lachte Björn. „Aber ehrlich gesagt komme ich diesmal mit schwerem Gepäck.“
„Ach was, Rentenantrag?“
Björn schüttelte den Kopf. „Schlimmer. PostNord stellt die Briefzustellung ein. Ende 2025 ist Schluss.“

Hasso sah ihn an, als hätte er sich verhört. „Ganz aufhören? Keine Briefe mehr?“
„Keiner mehr,“ sagte Björn leise. „Nur noch Pakete. Die Geschichten der Menschen passen dann wohl in Kartons.“
Einen Moment lang schwieg Hasso. Dann klopfte er seinem Freund auf die Schulter. „Wenn’s so weit ist, dann schick mir den letzten. Ich werde darauf achten, dass er ankommt.“
Björn nickte. Und für einen kurzen Augenblick strahlte zwischen beiden das gemeinsame Verständnis jener, die einmal Träger der Worte waren.

Der Winter kam schnell. Der Morgenwind an der Küste war kalt und salzig, als Björn an einem Dezembermorgen den Sack über seine Schulter warf. Über København hing ein bleigrauer Himmel. „Ende 2025 wird der letzte Brief in Danmark zugestellt“, hatte man im Radio gehört. Und Björn wusste: Der letzte Brief würde durch seine Hände gehen.

Seit mehr als drei Jahrzehnten hatte er Liebesbotschaften, Mahnungen und letzte Worte ausgetragen – handgeschrieben, duftend, echt. Jetzt aber war alles anders. PostNord wollte sich modernisieren: Ab 2026 sollten nur noch Pakete ihr Kerngeschäft sein.

An diesem Abend hielt Björn an einem der letzten roten Briefkästen. „Bis zum 31. Dezember 2025 werden alle entfernt“, hatte man mitgeteilt. Er legte die Hand auf das spröde Metall. Dann zog er einen Umschlag hervor – ungeöffnet, unregistriert, nur mit drei Worten:
„Tak for tiden.“

Er warf ihn ein. Das leise Klacken des Einwurfs hallte in der frostigen Luft. Das Geräusch seiner Berufung – zum letzten Mal.

Ein Brief für Hasso

Zwei Wochen später, in Babenhausen Süd, einem ruhigen, grünen Stadtteil von Bielefeld, stapfte Hasso durch den Schnee vor seiner Haustür. Zwischen Werbeprospekten und Rechnungen lag ein unscheinbarer Brief ohne Absender, der nach Meer und kaltem Wind roch. Er öffnete ihn vorsichtig, und ein einzelner Satz stand darin, in vertrauter, kantiger Schrift:
„Tak for tiden.“

Hasso hielt inne. Die Worte sagten alles. Er setzte sich an den Küchentisch, sah auf den Brief – und plötzlich erschienen die Jahre in Gelb und Blau vor seinem inneren Auge: die frühen Morgen, die klammen Handschuhe, das kurze Lächeln an der Haustür.

Noch am selben Abend nahm er ein leeres Blatt Papier und notierte eine Idee, die ihm nicht mehr aus dem Kopf ging: eine kleine Ausstellung in Bielefeld über Briefe, alte Postkutschen, verschwundene Briefkästen und die Geschichten dahinter. Eine Hommage an das, was Menschen einander einst schrieben – und an Kollegen wie Björn, deren Arbeit nun aus der Zeit fällt.

Er heftete Björns Brief an eine Pinnwand über dem Schreibtisch. Darunter schrieb er: Ausstellungseröffnung: Wenn niemand mehr schreibt – und wir uns trotzdem erinnern.“


Dann legte er den Stift weg, sah ein letztes Mal auf die drei einfachen Worte – und beschloss, dass dieser Brief nie in einem Karton verschwinden würde.

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