
Heinz Boddenstädts Schwager Helmut begab sich in seinen Gemüsegarten, um eine frische Gurke zu pflücken und sie mit Genuss zu verspeisen. Doch das blieb nur ein Traum. In seiner Bauerrolle und bei regnerischem Weihnachtswetter konnte er auf den Feldern nichts unternehmen. Ostwestfalen versank im Wasser.
Der Winter brachte die Planungen der holländischen Gemüsebauern für das Frühjahr mit sich, während Helmut vor der Frage stand, was er im nächsten Jahr anpflanzen sollte. Der Gedanke, seinen Acker zu verkaufen, um Platz für neue Wohngebiete in Bielefeld zu schaffen, kam auf, doch seine Liebe zum Handwerk auf dem Feld hielt ihn davon ab. Aufgeben kam nicht in Frage. Im letzten Jahr versuchte er es mit Gurken, die er auf dem Bauernmarkt für mindestens drei Euro verkaufen musste.
Helmut stand im Supermarkt, umgeben von Gurken. Er griff nach einer Gurke im Discounter, verpackt in Plastikfolie für 79 Cent. Vitamine mussten sein. Gurken bestehen zu etwa 97 Prozent aus Wasser, weshalb sie als kalorienarmes Gemüse und Gesichtsmaske beliebt sind. Mit nur 12 Kilokalorien pro 100 Gramm eignen sie sich als ideale Rohkost für Abnehmwillige. Wasser war nicht nur gut für Helmuts Körper, sondern auch unerlässlich für die Gurken.
Wasser war in Bielefeld äußerst preiswert, etwa 1,50 Euro für 1000 Liter. Zusätzlich kamen die gleiche Menge für Abwasserkosten hinzu. Doch sollte er wirklich erneut Gurken anbauen?
Die Gurke wurde aus der Plastikfolie befreit, und als er sie zerteilen wollte, begann die Gurke zu weinen. Sie sprach zu ihm. Das war 2024 möglich. KI half dabei! Heinz wusste nicht warum, aber die Gurke fing an zu reden. Sie wollte Heinz erzählen, woher sie kam, ihre Geschichte und warum sie so billig war. Heinz nahm die Gurke in die linke Hand, das Bierchen in die rechte, und die Gurke begann zu erzählen:
Frank, der Sachbearbeiter eines Einzelhandelskonzerns, im Besitz eines mexikanischen Finanzinvestors, entdeckte durch Aktienrecherche, dass in Spanien gerade Gurken reif und besonders günstig waren. Nach Zustimmung von Chefin Sabrina bestellte er 100.000 Gurken von einer Gemüsefarm in der Nähe von Almeria, die einem belgischen Agrarkonzern gehörte. Sabrina bezahlte für eine Gurke 5 Cent und handelte mit dem Großhändler in Deutschland einen Preis von 40 Cent aus. Das ganze wurde online mit drei Mausklicks abgeschlossen und Sabrina war 35000 Euro reicher. Aber wie ging es weiter mit der Gurke:

Ein Unkrautvernichtungsmittel eines deutschen Chemiekonzerns sorgte dafür, dass nur Gurken auf den Feldern wuchsen. Es war zwar kostengünstig, befand sich jedoch in Mexiko zwischen Köln und Düsseldorf und war nicht besonders gesund, wie Noah, der die Gurken erntete, feststellte. Noah, ein illegaler Flüchtling aus Afrika, lebte in einer Baracke neben den Gewächshäusern, was die Erntekosten niedrig hielt.
Vor dem Verladen wurden die Gurken mit luftdichter Plastikfolie überzogen. Die Folien stammten aus einer mittelgroßen Chemiefabrik in Thüringen, die nicht viel kosteten und von Mechatroniker Mark gesteuert wurden. Mark fütterte die Plastikfolienmaschine mit Rohöl, das Fiete mit dem Lastwagen von Rotterdam nach Ostdeutschland brachte. Fjotrow, ein Lastwagenfahrer aus Bulgarien, transportierte die verpackten Gurken nach Polen, wo sie für den Discounter gelabelt wurden.
Ein Lastwagen der italienischen Firma Iveco, im Besitz von „Fiat Industrial“, einer internationalen Holdinggesellschaft, brachte die Gurken wieder nach Deutschland. Der Transport war kostengünstig, der Diesel wurde steuerlich subventioniert, und der Fahrer, Mohammed, stammte aus Rumänien und lebte die meiste Zeit im LKW.
Die Gurken kamen bei einem Discounter in Unna an, und Sebastian übernahm die Verteilung. Ursprünglich als Anlagenbauer in einer Firma für Solaranlagen tätig, war Sebastian arbeitslos geworden, da die Anlagen nun aus China importiert wurden. Im Rahmen einer AB-Maßnahme war er nun kostengünstig für den Laden tätig.
Die Gurke verstummt. Sie wurde welk. Hatte Helmut sich das alles nur eingebildet?
Helmut entschloss, keine Gurken mehr anzubauen.Stattdessen produzierte er jetzt Mais für Biotreibstoff. Rationell setzte er viel Chemie, Gülle und Maschinen ein, verbrachte den ganzen Tag auf dem Trecker, und deshalb war der Biosprit kostengünstig. Rund 33 Prozent der weltweiten Anbauflächen werden für die Produktion von Viehfutter verwendet. In der Europäischen Union liegt diese Zahl noch höher: Hier landen 60 Prozent des angebauten Getreides in den Trögen. Dieses Verfahren ist äußerst ineffizient, aber Helmut war es egal.
Zuhause entfernte Helmut die Plastikfolie von der Gurke und warf sie in den Müll. Die Gurke war nun schon mehr als eine Woche unterwegs. Obwohl sie durch die Folie noch frisch aussah, enthielt sie keine Vitamine mehr. Die Gurke schmeckte fade.

Zweihundert Jahre später landete der Ururururenkel von Helmut an einem Strand,mit einer Rakete, weil er auf einem anderem Planeten wohnt, als eine dünne Plastikfolie ihm ins Gesicht wehte. Unwissentlich handelte es sich um die Folie von Helmut’s Gurke. Der Müllentsorger hatte den Abfall zum Recycling nach Vietnam exportiert, wo er schließlich auf einer Deponie am Meer landete…
