Oktopus

In der düsteren Wüste Afrikas, weit weg von ihrer einstigen Heimat in Bielefeld, kämpfte die Familie Boddenstedt verzweifelt um ein neues Leben. (Siehe Blog Eintrag)  Doch die mächtigen Sandstürme, die wie gefräßige Ungeheuer über sie hinwegfegten, zerstörten all ihre Hoffnungen. An diesem Schicksalshaften Samstag brach Hanno Boddenstedt, der tapfere Familienvater und Vater von drei kleinen Bälgern, auf zum Kesselbrinkmarkt. Sein Herz sehnte sich nach dem holländischen Fischwagen, wo er jeden Samstag seinen geliebten Backfisch verzehrte, selbst um 9 Uhr morgens. Doch heute sollte alles anders sein, denn der Backoktopus stand im Mittelpunkt des Geschehens.  Hanno begrüßte seinen Freund Piet Mattenfried mit einer beinahe überwältigenden Freude, als er den gebackenen Oktopus probieren durfte. „Warum Oktopus?“ fragte Hanno, und Piet verließ seinen Verkaufswagen, um Hanno die erstaunliche Geschichte zu erzählen, die von seinem Lieferanten Michelle Germain aus der Bretagne stammte.

In der Bretagne, an der französischen Atlantikküste, begann ein faszinierendes Drama. Michelle Germain, ein Fischer aus Port Louise, tauchte frühmorgens in die tosenden Fluten ein, um nach Krustentieren zu suchen, so wie sein Vater es getan hatte. Doch seit zwei Jahren hatte sich alles verändert. Vor Port Louise bevölkerten plötzlich Unmengen von Oktopussen das Meer. Der milde Winter hatte ideale Bedingungen für die Kopffüßer geschaffen, die sich rasant vermehrten.

Diese hungrigen Kreaturen stahlen den Fischern ihre Beute, darunter Jakobsmuscheln. Doch sie selbst wurden zu begehrten Schätzen. Viele Fischer wechselten zu der profitablen Oktopus-Fischerei. Es war ein Goldrausch in der Bretagne, und die Ozeane füllten sich mit den glibberigen Geschöpfen.

Oktopus, Oktopus und noch mehr Oktopus – anstelle von Seespinnen, Taschenkrebsen und Hummern. Die Geschichten, die die bretonischen Fischer erzählten, klangen wie Sagen aus einer anderen Welt. Die Fangmengen stiegen sprunghaft an, und an manchen Küstenabschnitten war der Fang fünfzehnmal so hoch wie im Vorjahr. Die Fischer hatten umgesattelt und fischten nur noch Oktopusse.

Niemand konnte erklären, woher die Oktopusse so plötzlich aufgetaucht waren. Die kalten Winter hatten sie lange Zeit an der Atlantikküste verschwinden lassen. Der Klimawandel konnte als Ursache nicht eindeutig festgestellt werden, da viele Faktoren mitspielten, darunter Strömungsmuster.

Sobald die weiblichen Oktopusse groß genug waren und die Geschlechtsreife erreichten, legten sie zwischen 100.000 und 500.000 Eier, bevor sie starben. Die Jungtiere schlüpften aus den Eiern und trieben als winzige Kraken bis zu drei Monate lang durch die offene See, wo sie sich von Garnelenlarven ernährten. Das Zusammenspiel von Temperatur, Strömung und Überfischung der natürlichen Feinde war noch weitgehend unerforscht.

Zunächst jubelten die Fischer über ihr unerwartetes Glück, doch bald trat Skepsis auf. Die gierigen Oktopusse verzehrten hauptsächlich Jakobsmuscheln, Langusten und Hummer, teure Delikatessen, die in Frankreich traditionell zu Weihnachten serviert wurden. Die Menge der Jakobsmuscheln ging dramatisch zurück, und die Fischer befürchteten Probleme zu Weihnachten und im kommenden Jahr.

Hanno war tief bewegt. Die Welt veränderte sich in atemberaubendem Tempo. Was sollte aus den Ozeanen und würden seine Kinder jemals Tintenfisch essen? Die Zeiten der Fischstäbchen schienen gezählt zu sein. Könnte man Oktopusse in kindgerechte Fischblöcke formen?“

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