
Shean Daver, ein langjähriger Bewohner von Bielefeld, lebte in unmittelbarer Nähe des Atomkraftwerks. Täglich fuhr er dorthin mit seinem Tesla, den er auf der Arbeit kostenlos laden konnte. Es war sein letzter Arbeitstag in Deutschland, ein Tag des Abschieds. Auch er entschied sich für die Auswanderung. Die letzten Atomkraftwerke wurden abgeschaltet, doch die Bedenken und Ängste in Bezug auf Atomkraft waren allgegenwärtig. Aber in Deutschland dachte man nicht über die Zukunft und den Winter. Der September war schön warm, doch der Winter 2024 soll nach Nosferatu apokalyptisch werden. Wen interessiert es beim Latte Macciato an der Lutterpromenade.
In seinem Tesla, der lautlos über die Straßen glitt, suchte Shean Trost in der Serie, die ihm vertraut war – „Die Simpsons“ mit seinem Freund Homer Simpson im Car-TV.
Homer und Shean hatten mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Beide waren in Atomkraftwerken tätig. Homer, zu jung für einen Vollzeitjob, hatte im Laufe der Serie eine Reihe von Teilzeitjobs innegehabt. Doch jetzt genoss er sein Bürgergeld, begleitet von einem leckeren Bierchen auf dem Sofa, während er unaufhaltsam an Gewicht zunahm. Aufgrund der Atomkatastrophe in Japan strebte das Schweizer Fernsehen an, heikle Folgen der „Simpsons“ zu meiden, da Serienstar Homer in einem AKW arbeitete. Auch Deutschland schloss sich dieser Zensur an und wollte die „Simpsons“ nicht mehr im Fernsehen zeigen.

Doch Shean wurde anderswo gebraucht. Er war der Mann, der die Stecker der Atomkraftwerke zog. Aber er konnte sie auch wieder hochfahren und betriebsbereit machen.
Am örtlichen Provinzflughafen stand ein Firmenjet bereit. Mit seiner Frau Petty und den Kindern Melody Joy und Joan Jaely stieg er in den kleinen Flieger. Das Ziel war Silicon Valley, wo Microsoft ihn für eine entscheidende Mission rekrutiert hatte.
Der Microsoft-Konzern plante den Aufbau einer Flotte kleiner Nuklearreaktoren, um die Datencenter ihrer Cloudsparte mit sicherem Strom zu versorgen. Dafür suchten sie Fachleute der Nuklearindustrie. Shean wurde der Programmmanager für Nukleartechnologie, mit der Verantwortung, eine globale Strategie aufzustellen, die auf kleinen Modular- und Mikroreaktoren basierte, so wie es in der Stellenausschreibung beschrieben war.
Microsoft-Chef Satya Nadella betonte, dass ein neues Computerzeitalter angebrochen sei. Die Integration hoch entwickelter Künstliche-Intelligenz-Modelle in die Cloudsparte verbrauchte mehr Energie als jede andere Computerarbeit, wie Fachleute errechnet hatten. Sheans Aufgabe war enorm: nicht nur zu prüfen, ob kleine Atomkraftwerke die Datencenter der Cloudsparte mit Energie versorgen konnten, sondern auch einen praktischen Plan für den Aufbau einer entsprechenden Mikroreaktorenflotte zu entwickeln.
Dieser Plan war Teil von Microsofts Klimastrategie. Ab dem Jahr 2030 wollte das Unternehmen netto keine Treibhausgase mehr emittieren (Net Zero) und sogar zur Reduzierung der Emissionen beitragen. Dafür investierte der Konzern in Technologien, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen konnten. Microsoft bekannte sich schon lange zur Atomkraft als sauberer Energiequelle. Ein im Frühjahr eröffnetes Datencenter in Virginia konnte dank Atomstrom nahezu 100 Prozent ohne CO2-Emissionen auskommen und wurde entsprechend von Microsoft beworben.
Bill Gates, der Gründer von Microsoft, war ein beharrlicher Verfechter der Atomkraft als saubere Energie. Er hatte das Unternehmen Terrapower gegründet, das derzeit ein Kernkraftwerk im Bundesstaat Wyoming errichtete. Im Mai desselben Jahres hatte das Unternehmen für Aufsehen gesorgt, indem es einen Abnahmevertrag für Strom aus Kernfusionstechnik unterzeichnete. Das Unternehmen Helion versprach darin, 2028 Strom aus seinem Kernfusionskraftwerk liefern zu können. Schließlich konnten bald Mini-Atomkraftwerke in jeder Wohnung in Bielefeld stehen. Shean Daver war ihr Erfinder und wurde im Jahr 2030 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Doch die Welt fragte sich, ob dies der rettende Weg oder eine neue Gefahr war. Nein, die Welt fragte nicht. Alle wollten diese neue Energie haben.
