Igel

„Halimax“ – so nannte er das neue Gerät. Er baute sogar ein Gehäuse als Heimstätte für die neue Errungenschaft, die viel Arbeit abnehmen sollte. Es war ein Koloss von der Größe zweier Schuhkartons und doch erstaunlich leise. Herr Wattenmeid war voller Vorfreude und erfreute sich am Anblick des ersten perfekt gemähten Rasens. Halimax musste er einfach besitzen, schließlich glänzte der Rasen seines Nachbarn wie das Wohnzimmer von Boris Becker in Wimbledon. Herr Wattenmeid ließ Halimax in den Nachstunden arbeiten, tagsüber wollte er sich schließlich auf dem Rasen entspannen.

Doch am nächsten Morgen war Herr Wattenmeid entsetzt, als er seinen Rasen betrachtete. Überall waren rote Streifen zu sehen. Wo kamen die her? Mit zittrigen Händen berührte er die roten Linien und stellte fest: Es war Blut! Rasen konnte doch nicht bluten. Dann entdeckte er den Schrecken unter dem Kirschlorbeerbusch. Dort lagen sie – die Opfer. Igel ohne ihre kleinen Füßchen und zwei zerquetschte Amselbabys, die den Weg zurück ins Nest nicht mehr gefunden hatten. Daneben fand er die Überreste einer Erdkröte, die den Rasenmähroboter für ein Mr. Bombastisches Krötenmännchen gehalten hatte.

Seitdem Gärten ihre Besitzer nicht mehr ernähren müssen, hat der Rasen das Gemüsebeet als zentrales Element abgelöst. Rasen nimmt die größte Fläche ein und wird mit Hingabe gehegt und gepflegt. Er wird gedüngt, von Unkraut befreit und regelmäßig gemäht. Wildblumenwiesen sind in deutschen Gärten eher die Ausnahme. Während das Düngen und Jäten noch von Hand erledigt wird, hält man das Gras inzwischen oft mithilfe von Mährobotern kurz. Diese kleinen Ungetüme tuckern eigenständig und vollautomatisch über den Rasen und schneiden alles kurz und klein – nicht nur die Grashalme, sondern auch häufig die wilden Tiere, die dort nach Futter suchen und nicht schnell genug flüchten können. Früher trafen sich in Herrn Wattenmeid, Dachs, Auerhahn, Luchse und kleine Wölfe. Aber heute, selbst eine Feuerwanze war schon lange nicht mehr zu sehen.

Mähroboter sind fahrende Computer mit angeschlossenem Mähwerk. Sie arbeiten autonom und kontinuierlich auf einer vorgegebenen Fläche. Diese wird durch einen Draht eingegrenzt, an dem sich die Geräte orientieren. Ihre Wege innerhalb des Areals finden sie eigenständig, während sie Hindernisse mithilfe eingebauter Sensoren erkennen. Auch das Aufladen ihrer Akkus erledigen die Mähroboter ohne menschliches Zutun. Sobald die gewünschten Mähzeiten programmiert sind, müssen sich die Besitzer nicht weiter kümmern.

Aber was machte man, um die Tiere im Garten zu warnen? Die Stiftung die Waren testen legte ein Baby auf einen Rasen mit einem Prüfarm. Eines Modell von „Halimax“ hatte eine eingebaute Helene Fischer – Tröte, die die Tiere im Garten warnen sollten. Aber das Baby konnte ja nicht laufen. Es war kein echtes Baby sondern ein Dummie.

Herr Wattenmeid dachte an sein baldiges Enkelkind und es schauderte ihn bei dem Gedanken, dass Kinder ohne Finger in die Grundschule eingeschult werden könnten. Dieser grausame nVorstellung konnte er nicht tatenlos zusehen. Entschlossen nahm er „Halimax“ mit in seinen Werkstattkeller. Dort begann er, ihn zu einer Art Thermomix umzubauen und besorgte sich eine Sense. Von nun an würde er zweimal im Jahr selbst zur Mahd schreiten. Doch bevor er mit dem Schnitt beginnen konnte, musste er das Sensenblatt dengeln, um es zu schärfen und das Gras präzise zu schneiden.

Die Sense war ein antikes Mähwerkzeug, das einst den großflächigen Getreideanbau ermöglichte, erinnerte sich Wattenmeid nach einen Kurs in der Volkshochschule. Früher klopften die Landwirte mit einem speziellen Hammer die Schneidekante platt, um sie scharf zu machen. Dieses Verfahren erforderte viel Erfahrung und eine ruhige Hand. Doch heutzutage waren solche Fähigkeiten nur noch wenigen bekannt. Stattdessen griffen die Menschen zu modernen Hilfsmitteln wie dem sogenannten Schlagdengler. Herr Wattenmeid war dankbar für seine Erfahrungen mit Halimax und dankte dem Herrgott.

 Mit Stolz erlangte er die erste Schlagdenglermetzlerurkunde Ostwestfalens.

Immer noch erschüttert von den grausamen Folgen, die Halimax auf seinem Rasen angerichtet hatte, nahm Herr Wattenmeid die Sache nun selbst in die Hand. Kein Tier sollte mehr unter den rasenden Klingen des Roboters leiden. Mit jedem Schnitt der Sense und jedem geschärften Sensenblatt schwor er sich, die natürliche Ordnung wiederherzustellen und den Garten zu einem sicheren Rückzugsort für die Tiere zu machen. Sein Enkelkind sollte in einer Welt aufwachsen, in der Mensch und Natur in Harmonie leben konnten. Mit Entschlossenheit und dem Mut eines Löwen stellte er sich der Herausforderung und wurde zum Hüter der Tiere in seinem Garten und übernahm später den heimischen Tierpark.

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