Kinder

Da saßen sie nun. Petra Schweger, Kommissarin aus Bielefeld, reiste mit dem 49 Euro Ticket durch NRW. Sie hatte frei, aber am Bahnhof Hamm, auf Gleis zweiundvierzig saßen zwei Kinder. Sie sahen asiatisch aus und waren traurig. In ihren Händen hatten sie einen Zettel in chinesichen Schrifttzeichen. Was hatte das zu bedeuten? „Die haben nicht bezahlt,“ rief Fahrgastbegleiter Gerd Raabe Petra aus der schließenden Zugtür zu. Gerd hatte die Kinder in Hamm einfach aus dem Zug geworfen. Petra hatte noch zwei Glückskekse vom letzten Restaurantbesuch in der Tasche und gab sie den Kindern. Ein Leuchten funkelte in ihren Augen. Petra war klasse. Aber wo sollen die Kinder hin? Petra erinnerte sich an eine alte Geschichte, die sie als Kind oft gehört hatte. Die Song-Dynastie war von 960 bis 1279 die herrschende Dynastie im Kaiserreich China und hier gab es eine bekannte Geschichte, die jedes Kind auswendig lernen musste. Spannend ist sie nicht, aber fast 2000 Jahre alt und absolut aktuell.

In der mächtigen Song-Dynastie gab es einen Bauer, dessen ungeduldiger Charakter ihm zum Verhängnis werden sollte. Mit einer Gier nach schnellem Erfolg, baute er Gemüse an und konnte es nicht erwarten, das Ergebnis seiner Arbeit zu sehen. Als er auf sein Feld ging, um nach den Pflanzen zu sehen, war er enttäuscht von dem, was er sah. Obwohl die kleinen Pflänzchen überall auf seinem Feld wuchsen, waren sie für ihn nicht groß genug. Seine Ungeduld trieb ihn dazu, am nächsten Tag zurückzukehren und Unkraut zu entfernen, in der Hoffnung, dass die Pflanzen schneller wachsen würden. Doch trotz all seiner Bemühungen waren die Pflanzen nur ein bisschen größer geworden.

Als einige Tage später immer noch keine signifikanten Fortschritte zu verzeichnen waren, geriet der Bauer in Panik. Er konnte es nicht ertragen, so lange zu warten und beschloss, zu betrügerischen Methoden zu greifen. Er lief zum Feldrand und begann nach einer geeigneten Pflanze zu suchen. Schließlich fand er eine, an der er zog, bis sie größer wurde. Der Bauer schaute auf das Ergebnis seiner unheilvollen Tat und war stolz auf sich. Aber zu welchem Preis? Seine Gier und sein Ehrgeiz hatten seine Moral und seine Verbindung zur Natur verdrängt. Was für ein kurzsichtiger und unverantwortlicher Bauer, der bereit war, seinen eigenen Betrug zu rechtfertigen, um schneller zum Ziel zu gelangen. Dies war ein trauriges Beispiel dafür, wie die Gier nach Erfolg die Menschen dazu bringen kann, ihre eigenen Werte zu opfern und die Konsequenzen ihrer Handlungen zu ignorieren. Atemlos kehrte der Bauer zum Feld zurück und begann, an den Gemüsepflanzen zu zerren. Mit jeder gezogenen Reihe fühlte er sich genialer und stolzer auf seine Leistung. Voller Begeisterung zog er weiter und weiter, bis alle Pflanzen schließlich die gewünschte Größe erreicht hatten. Triumphierend stand er auf seinem Feld und bewunderte seine Machenschaften. Doch als er nach Hause rannte, um seinem Sohn von seinem Erfolg zu berichten, schenkte ihm dieser kein Glauben und ging lieber schlafen.

Am nächsten Morgen wurde der Sohn dann doch neugierig und begab sich aufs Feld, um sich die Pflanzen anzusehen. Doch was er dort vorfand, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren: Alle Pflanzen lagen am Boden, vertrocknet und tot. Der Bauer hatte in seiner Ungeduld die Wurzeln der Pflanzen herausgerissen und sie zu Tode gezerrt.

Diese Geschichte aus China lehrte Petra eine wichtige Lektion: dass Geduld eine Tugend ist und dass alles seine Zeit braucht. Wenn wir zu hastig und ungeduldig sind, riskieren wir, dass alles, was wir aufgebaut haben, in einem Augenblick zerstört wird. Und nicht nur das, auch unsere Beziehungen zu anderen können darunter leiden, wenn wir zu viel von ihnen verlangen und sie überfordern. Diese Geschichte ist somit eine Warnung an uns alle, uns Zeit zu lassen und unsere Erwartungen zu überdenken, bevor wir uns in ein Vorhaben stürzen.

Sie nahm die Kinder erst einmal mit nach Bielefeld. Sie rief ihren Bekannten Herrn Schnepel, an, der mittlerweile Schulrat im hiesigen Schulamt war. Platz wäre für die beiden in der Fichtenhainschule. Dort wurden zwar Luftfilter eingesetzt, aber es sind noch nicht überall 30 Kinder in einer Klasse.

Nachdem Petra die Kinder in der Fichtenhainschule abgegeben hatte, nahm sie die zerknitterten Zettel aus den Taschen der Kinder und übersetzte sie mit einem Buch in der Stadtbücherei. Sie konnte es kaum glauben.

Mein Name ist Li Mi Long und ich habe meine Kinder in Deutschland geschickt. Ich komme später nach. Mein Bruder lebt in Bielefeld. Er heißt Shao Li Ping. Dort hatte er ein Autohaus und ist nun ein reicher Bürger. Er sagte, meine Kinder Hong Shi und Lei Fei können nach Deutschland kommen, er würde für sie sorgen. Noch arbeite ich auf dem Reismarkt und werde noch meine Vorräte verkaufen. Vor allem der Vanille-Reis verkaufe sich gut. Ich würde gerne in der Vanille-Fabrik in Bielefeld einmal vorbeischauen und einen neuen Deal einfädeln. Ansonsten ist das Leben in Bielefeld besser als in China. Lieber Finder, passen Sie gut auf Hong Si und Lei Fei auf. Der chinesische Drache wird sie belohnen.

Petra kannte Shao Li Ping. Sie hatte ihn ertappt, als er Reißnägel auf die neue Fahrradstraße in der Stadt gelegt hatte. Sie ging zum Einwohnermeldeamt und erkundigte sich nach Shao.

Sie wählte die Nummer. Shao nahm das Gespräch an.

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