
Schwester Gisela
„Guten Morgähn! Wie war der Stuhlgang?“ rief Schwester Gisela in Herrgottsfrühe mir im Krankenzimmer zu. Wie soll der denn schon sein, wenn man nur im Bett liegt, seinen Körper nicht bewegen kann und weder Zucker noch vergorenen Hopfensaft zu sich nimmt. Das dauert, bis der Darm sich auf die Krankenhauskost umgewöhnt hat. Und dass bei mir, der es liebt mit vielen internationalen Gewürzen zu hantieren. Gisela brachte mir zwei Waschlappen. Einen für oben und einen für unten und hängte sie an die entsprechenden Haken. Warum stand da nicht Süd und Nord oder rechts und links? Der Waschlappen erlebt seit der Energiekrise eine Wiedergeburt, weil Gas teurer geworden ist. Über die Rückkehr des Waschlappens freut sich die Haut. Und macht braucht sogar gar keine Seife, weil die Baumwolle alte Hautfetzen abrubbelt. Man hat auch festgestellt, dass man Seife überhaupt nicht braucht. Sie sollte nur eingesetzt werden, wenn erkennbarer Dreck oder Schweiß zu sehen ist. Statt Seife kann man auch Spüli nehmen. Das stimmt! Aber diese Erkenntnis wird in Deutschland nicht propagiert, weil Hans Zurbring, Lobbyist der Schönheitsindustrie, dafür sorgt, dass es in Deutschland immer mehr Drogerieläden gibt. Mittlerweile gibt es fast 5000 Drogerieläden und dazu in jedem Supermarkt genügend Pflegeprodukte.Was wäre die Bielefelder City ohne Rossmann, Müller und DM? Jeder Deutsche verbraucht durchschnittlich zehn Flaschen Shampoo, elf Flaschen Duschgel und 3,7 Packungen Flüssigseife im Jahr. Das ergibt 24,7 Flaschen pro Kopf. Allein in Deutschland sind das hochgerechnet jährlich rund 2 Milliarden Plastikflaschen – nur für Pflegeprodukte!
Und die Haut leidet darunter. Auch die Umwelt. Und ich leide auch. Schwester Gisela war taff. Sie wollte meinen Rücken nicht mit Franzbranntwein einreiben. Das soll ich alleine machen. Ist auch eine gute Yoga-Übung. Gisela lachte sich kaputt, als ich mein geliebtes Arminia Bielefeld Schlaf-Shirt auszog. Ich war in Osnabrück! Dritte Liga! Die Arminia war so schlecht und so peinlich. Aber zu einer echten Liebe gehört auch viel Leidenschaft, die Leiden schafft. Da warf mir Gisela ein Arsenal London T-Shirt rüber. Das könne ich haben, der Patient ist letzte Woche verstorben.
Nun muss ich noch bis Montag bleiben. Entweder will das Krankenhaus an mir noch verdienen, oder der Professor ahnt meine zunehmende Unruhe und will mir noch 50 Stunden Ruhe gönnen. Aber irgendetwas musste ich tun. Ich schmuggelte mich hinter Giselas Rücken in die Krankenhausküche. Es war Wochenende und es herrschte auch hier Personalmangel. In der Ecke saß FSJtler Hanno. Er wollte etwas Sinnvolles machen nach dem Abitur. Der Wehrdienst war nix. Hanno wollte Menschen helfen. Nun saß er in der Küche und zählte immer drei Cherry-Tomaten ab, die er auf die Abendessenteller der Patienten legte. Das war nun nicht besonders anspruchsvoll und machte Hanno immer trauriger. Er wollte doch den Menschen helfen, ihnen Mut und Zuversicht geben. Da begann ich mit ihm ein Spiel. Wir legten kleine Zettel unter die Deckel der Teller mit dem Graubrot. Dort schrieben wir kleine Sprüche und Lebensweisheiten drauf, wie:
„du bist wertvoll“, „gute Besserung“ oder „morgen kommt der Weihnachtsmann“. Aber auch so Sachen wie „Ein Freund mehr, ein Weg mehr“ oder „besser auf neuen Wegen etwas stolpern als in alten Pfaden auf der Stelle zu treten“ Wir wussten nicht, wer die Texte bekommt, oder was das mit den Lesern machte. Jedenfalls war es ein Experiment.
Dann warteten wir auf die Antworten. Und tatsächlich, die Patienten auf den Stationen schrieben zurück. Hanno sammelte alle Zettel, kam nach der Schicht auf mein Zimmer und zusammen entwarfen wir die Antworten für den nächsten Tag. Viele freuten sich, manche Patienten kamen ins Nachdenken. Nur Robert Swermann, Patient auf der Inneren schrieb: „ Ich will Nutella und kein Nusspli!“ So wurde Hanno glücklicher und die Patienten konnten schneller genesen und eher entlassen werden.

