Nussknacker

Thorsten  Ratavow war der Beste. Holzschnitzer.

Er wohnte in Oelsnitz / Erzgebirge. Schnitzen war im Erzgebirge früher weit verbreitet und begann hier ursprünglich als eine beliebte Feierabendbeschäftigung von Bergarbeitern und Bauern…

Später war im Erzgebirge das Schnitzen ein wichtiger Broterwerb für viele Menschen.

Und Thorsten Ratavow  war der Beste. Er wollte eigentlich Herrgottschnitzer in Oberammergau werden, aber das war ja im Westen, in der BRD. Und zudem musste man Sohn vom Sohn vom Sohn des Herrgottschnitzers sein. Das war er nicht. Zudem kam er dort nie hin. Doch er möchte das Herz Jesulein zu schnitzen, aber das passte nicht in die Weltordnung der DDR und so wurde Thorsten überwacht.

Aber als begabter Schnitzer war er Mitarbeiter des Jahres im VEB Holzwurm, in der Lindenstraße 23 in Oelsnitz. Jedes Jahr erfüllte er das 5-Jahres Soll. Er hatte einen Sohn. Peter Ratavow  war vor Jahren schon „rüber“ in den Westen. Nach Bielefeld.

Dort eröffnete Peter einen Spielzeugladen und verkaufte in der Weihnachtszeit erzgebirgisches Schnitzwerk, welches er von seinem Vater aus Oelsnitz bezog. Ja, dass war nicht ganz legal, brachte aber Devisen. Darüber reden wir jetzt mal nicht.

Im Geschäft in der Altstadt konnte man schöne Nussknacker kaufen oder schöne Weihnachtskrippen. Die durften in der DDR nicht verkauft werden. Aber Thorsten Ratavow  war das egal. Er schnitzte und schnitzte und bekam als Parteimitglied geheim einen Zugang zum Intershop.

Nach der Wende kam Thorsten nach Bielefeld. Er wohnte im Keller eines kleinen Hauses in Vilsendorf, wo er eine kleine Werkstatt hatte. Er war Pensionär, aber das Schnitzen von Nussknackern gelang ihm immer noch. Ein Hobby.

129 Euro kostete ein Holzmännchen aus Bielefelder Eichenholz. Haltbar für Hundert Jahre. So ein Männchen wurde vererbt, Generationen über Generationen nutzen dieses Männchen. Für einen Nussknacker brauchte Thorsten mehr als eine Woche. Doch leider konnte sein Sohn Peter immer weniger verkaufen. Nüsse wurden den Kindern immer seltener in den Nikolausstiefel gelegt und zudem waren die meisten Nüsse mit Schwermetallen belastet.

Aber Thorsten war es egal, denn er hatte ein schönes Hobby. Aber am 20.11.2022 bekam er zu viel. Er öffnete das Prospekt eines lokalen Discounters. Unfassbar. Da gab es -Nussknacker für 3.99 Euro. Wie kam der Preis zustande? Wie konnte es sein. Wie kriegt man das hin? Sie waren aus Holz, keine Frage. Sie sahen auch irgendwie blöd aus, erfüllten ihren Zweck,  aber sollten dafür hunderte von Kindern oder Frauen in Baracken in der Provinz ChJiinin in Südchina schufften? War das das Fratzengesicht des Kapitalismus?

Er musste etwas tun. Er rollte seine rote Fahne der Solidarität aus und ging zum Einkaufszentrum. Als er dann noch an die Toten in Katar dachte, war es Zeit, den Klassenkampf anzutreten. Dabei ist für ihn die enge Kampfgemeinschaft von marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen wichtig. Nur, da waren nicht mehr viele.

Thorsten wollte die Selbstorganisation der Massen fördern, sowie weltweite Kampftag planen um eine neue Qualität des proletarischen Internationalismus auzubilden. Vielleicht fand er noch Mitstreiter.

Mit einigen Flyern stand er vor dem Discounter und zeigte den Kunden den billigen Nussknacker. „Geh, nach Hause, alter Mann! Das bringt nix. Ich schenke dir einen Kaffee! “ sagte Kundin Theresa von Habensand. Thorsten Ratavow  kamen die Tränen. Seine Tränen benetzen das Haupt des Holznussknackers und dieser wurde lebendig.

Er kuschelte sich in Thorstens Armen und freute sich auf ein neues Leben.

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